Dienstag, 28. Mai 2013

300 Jahre Ausbeutung : Das 20. Jahrhundert – Diktaturen und enttäuschungen

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wies Katalonien, die Industriemacht Spaniens, ein unglaubliches Paradoxon auf: Es verfügte nicht über die mindesten Infrastrukturen, die ihm aufgrund seiner Steuerzahlung an die Staatsfinanzen zugestanden hätten. Die damalige katalanische Presse prangerte diese verzerrte Situation an und hob einen weiteren bedenklichen Umstand hervor: Die Beeinträchtigung war nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch menschlicher Art, da Katalonien 900 Soldaten mehr stellte als aufgrund seiner Bevölkerung erforderlich. Eine derartige Diskriminierung erklärt sich beim Studieren einiger Dokumente jener Zeit, die besagen, dass die staatlichen Organe für Katalonien das Eroberungsrecht geltend machten, um ihr Handeln rechtfertigen zu können.

Selbstverwaltung ohne kompetenzen und ressourcen
Die 'Mancomunitat de Catalunya' (1914-1925), der Zusammenschluss der katalanischen Bezirksverwaltungen und gleichzeitig die erste Selbstverwaltung seit 1714, linderte dieses Staatsdefizit mit den Mitteln der Provinzregierungen von Barcelona, Girona, Lleida und Tarragona, nachdem sich die spanische Regierung weigerte, der Mancomunitat die Kompetenzen zur Steuererhebung zu übertragen. So zog der Staat in Katalonien weiterhin 250 Millionen Peseten pro Jahr ein, von denen lediglich 19,1 Millionen in Form von Investitionen in öffentliche Bauvorhaben, Bildung, Gesundheitswesen und Landwirtschaft zurückgeführt wurden.
Als die Mancomunidad durch die Diktatur des Generals Miguel Primo de Rivera ersetzt wurde, blieb die steuerliche Ungleichheit erhalten. Katalonien war im Jahr 1926 nicht im entferntesten die großräumigste oder bevölkerungsreichste Region des Staates, zahlte jedoch fast ein Drittel (30%) der Gesamtsteuern Spaniens.

Die Wiederherstellung der Generalitat in der Zeit der II. Republik (1931) führte nicht zu einer sofortigen Besserung in Finanzierungsfragen. Die Verzögerung, mit welcher der spanische Staat die Übertragung von Kompetenzen an die katalanische Regierung vollzog, rief absurde Situationen hervor, wie beispielsweise bei öffentlichen Bauvorhaben. Die Kompetenzübertragung wurde 1931 beschlossen, jedoch bis 1935 nicht umgesetzt. Dies hinderte den Staat nicht daran, Katalonien in seinen öffentlichen Bauplänen außen vor zu lassen, nachdem er Katalonien als für diesen Bereich verantwortlich erachtete, obwohl dies nur auf dem Papier der Fall war. Insgesamt erreichten die Investitionen in Katalonien nicht einmal ein Drittel der dort vom Staat eingezogenen Steuern.

Die besteuerung in kriegszeiten
Die Außergewöhnlichkeit des Bürgerkrieges ermöglichte ebenso außergewöhnliche Initiativen. Die Dynamik des Konflikts machte es möglich, dass die Generalitat in Katalonien die Funktionen der Regierung der Republik ausübte und obwohl diese Regierung sich gegen die autonome Wirtschaftsverwaltung Kataloniens sperrte, strukturierte die Generalitat im Januar 1937 unter einem neuen Steuerwesen die finanziellen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen neu. Es wurden Steuern geschaffen, korrigiert oder wiederhergestellt, die dem katalanischen Finanzwesen als Einnahmequelle dienen und die Kriegsanstrengungen unterstützen sollten. Der Kriegsverlauf führte jedoch zur Verringerung der Steuererträge und zur Anhäufung eines hohen Defizits der Generalitat.

Die franquistische Regierung führte die Autarkie ein, eine rigide Rationierungswirtschaft ohne Austausch nach außen, in welcher der Staat alle notwendigen Güter erzeugen musste. Der Wille der neuen Behörden, Katalonien die wirtschaftliche Erholung zu erschweren, war offensichtlich. Die Firmensitze katalanischer Firmen wurden nach Madrid verlegt, und die spanischen Banken absorbierten die Bankunternehmen des Landes, weshalb die katalanische Bank Mitte der 50er Jahre nur 3% des spanischen Bankensystems ausmachte.

Die franquistische stagnation
Die Niederlage des Nazismus legte die Wirtschaft still. Es mangelte an Energie und Rohstoffen. Die katalanische industrielle und gewerbliche Bourgeoisie beschränkte sich darauf, ihre Geschäfte trotz des staatlichen Eingreifens am Laufen zu halten; dieser Interventionismus setzte nicht immer seinen Willen durch. Die Diktatur hätte es gern gesehen, dass Katalonien sich in der Textilindustrie spezialisiert hätte, musste sich jedoch damit abfinden, dass das Automobilunternehmen FIAT aufgrund des dortigen Hafens und der qualifizierten Arbeitskräfte vor Ort in Barcelona ein SEAT-Werk einrichten wollte und so der Metallsektor in Katalonien an Bedeutung gewann. Die strikte Steuerpolitik ließ nicht nach. 1951 investierte der Staat 28% der in der Provinz Barcelona eingenommenen Steuern, was ein Steuerdefizit von 72% bedeutete.

Das autarke Modell war nicht in der Lage, die Lebensqualität der Bevölkerung anzuheben, geriet in eine Krise und war zur Weiterentwicklung des Wirtschaftssystems bis zu dessen Liberalisierung in den 50er Jahren gezwungen. Für Katalonien hingegen blieb alles beim Alten. 1956 betrugen die Einnahmen des Staates in der Provinz Barcelona 5.551.154.212 Peseten und die Ausgaben 1.179.668.992 Peseten. Es wurden also nur 21% der Steuerzahlungen in das Gebiet zurückgeführt, was ein Defizit von 79% bedeutet.

Das spätere Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum in den 60er Jahren führte nicht zu einer Verbesserung der Leistungen, die einem Land zustanden, das der Motor des Staates war. Das Defizit im öffentlichen Bildungswesen in der Metropolregion Barcelona betrug 1975 58% bezüglich der Schulplätze in der Grund- und Vorschule, während die Hauptstadt im Gesundheitswesen sechs Krankenhausbetten je 1000 Einwohner bot, entgegen der von der Weltgesundheitsorganisation emfpohlenen 10 Betten je 1000 Einwohner.

Der demokratische übergang und die selbstregierung
Nach dem Tod Francos und dem Ende der Diktatur bot der Einzug der Demokratie und die Zurückgewinnung der Generalitat Gelegenheiten zur Behebung alter Unsitten. Bei der Verfassung des Estatuto de Autonomía im Jahr 1978 wurde die Möglichkeit erwogen, ein Finanzierungssystem einzuführen, das sich nicht darauf stützte, was die Zentralverwaltung an die autonome Verwaltung abgeben musste, sondern darauf, was Katalonien an die Zentralverwaltung abgeben musste. Das Land sollte völlig frei entscheiden können, wohin der Großteil seines Geldes floss, und gleichzeitig Solidarität mit den weniger entwickelten Staatsgebieten zeigen. Die spanische Regierung lehnte diesen Vorschlag, den sogenannten Steuerpakt, unter dem Vorsitz von Adolfo Suarez ab, und das Thema Wirtschaft wurde übergangen; zu diesem Zeitpunkt wurde mehr Wert auf das Erzielen von Kompetenzen in anderen Bereichen gelegt, die zur Vereinigung des Landes unentbehrlich waren, wie Sprache und Bildung.

1994 zahlte Katalonien 20% mehr als der spanische Durchschnitt und erhielt 17% weniger als der Durchschnitt. Trotzdem hängt Katalonien bis heute der Ruf mangelnder Solidarität nach, der außerhalb Kataloniens nicht bekämpft wird, da er den spanischen Parteien und den staatlichen Strukturen politische und wirtschaftliche Vorteile bringt. Die Ironie besteht darin, dass Katalonien an der Spitze des Autonomieprozesses steht, und wenn Katalonien eine Kompetenz erlangt, imitieren die anderen autonomen Regionen dies auf merkwürdige Weise und fordern vom Staat ebenfalls die Übertragung dieser Kompetenz. Vielleicht verweigert Madrid aus diesem Grund ein Gespräch über die Reform der Finanzierung Kataloniens. Die Perspektive: eine mühsame Aufgabe und wenig Lust, Ungerechtigkeiten zu beheben.

Jordi Mata (text)
Agustí Alcoberro, Francesc Cabana, Josep Maria Solé i Sabaté (beratung)

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