Können Sie uns Ihre persönliche
Entwicklung in Bezug auf die katalanische Frage vorstellen? Wurden
Sie hier von kulturellen, sozialen, ökonomischen, historischen
Aspekten oder durch Familientraditionen beeinflusst?:
Ich bin Independentist seit ich ein
politisches Bewusstsein erinnern kann und seitdem mich Themen, die
unsere Gesellschaft betreffen, interessieren. In der Tat, ich
erinnere mich noch an den Tag, an dem ich begann mich für die
Unabhängigkeit zu interessieren. Es war im Jahr 1992- ich war noch
sehr klein, 10 Jahre alt- als einige Independentisten im Zuge der
Operation Garzón (1) verhaftet wurden, dachte ich: „Sie haben einige
von uns verhaftet“. So, nehme ich an, fühlt es sich sicherlich an,
wenn man sich mit etwas identifiziert, wahrscheinlich nicht sehr
rational in diesem Moment. Mit der Zeit beteiligte ich mich bei der
Jugend von ERC. Ich bemerkte, dass es nicht nur um die Frage von
Verteidigung von Identität und Sprache ging, sondern auch um das
Recht der katalanischen Gesellschaft sich nach eigenen Bedürfnissen
in jeder Hinsicht (Wirtschaft, Energie, Soziales und natürlich auch
Kulturelles) zu organisieren.
Welche Vor- und Nachteile sehen Sie
in einer einheitlichen und einer getrennten Wahlliste?:
Der Hauptvorteil einer gemeinsamen
Liste liegt darin, dass sie, in einer Wahl mit plebiszitärem
Charakter, den Konkurrenzkampf der Parteien um den überzeugtesten
Independentisten vollständig eliminiert. Hier sollte sie tatsächlich
quer, d.h. von den Christlichen Demokraten (UDC) bis zur CUP,
vereinheitlicht werden.
Aus meiner Sicht ermöglichen mehrere
verschieden Listen es mehr Wähler anzusprechen, da die Diversität,
die es in einem Land gibt, berücksichtigt wird. Auch wenn die
Independentisten auf eine Wahl um die Unabhängigkeit anstreben, so
wählen die Wähler doch aus verschiedenen Gründen. Also müssen wir
alle möglichen Mechanismen anbieten um die verschiedenen
Empfindungen ansprechen zu können.
Jetzt führen Oriol Junqueras und Mas
die Verhandlungen. Es sollten sich aber alle Parteien zusammensetzen
und sprechen. Alles miteinander zu verknüpfen ist nicht einfach.
Sollte sich
Katalonien morgen in einen Staat verwandeln, welche Aspekte wären
als die dringendsten betrachtet, die geändert werden müssen?:
Zunächst das komplette System der
Justiz, denn das spanische ist langsam, ungerecht und funktioniert
nicht. So sollten auch Regulierungsmechanismen von Märkten geändert
werden, denn derzeit – zu Spanien dazugehörend – sind sie von
denen in Beschlag genommen worden, die sie eigentlich kontrollieren
sollen (Banken, Energieproduzenten etc.).
Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit
der Fassung einer katalanischen Verfassung ist, diese als
partizipativ zu gestalten. Die Verfassung soll flexibel sein um sich
an die Änderungen anpassen zu können, die in einer Gesellschaft
möglich sind. Die aktuelle (spanische) ist sehr rigide, auch wenn
sie auf eine sehr verbiegbare Weise interpretierbar ist.
In welchen Aspekten – im Konkreten –
würden sich die aktuelle Situation des Autonomiestatuts von einem
katalanischen Staat unterscheiden? (Zum Beispiel würde ich einen
Ansatz von ernsthaften und effizienten Rechtsgrundlagen gegen
Tierquälerei oder geschlechtsspezifischer Gewalt fordern)
Sobald die Unabhängigkeit proklamiert
wurde und als sozialer Notfall sollte zunächst das Thema der
Zahlungsausfälle von Hypotheken behandelt werden. Es muss ein Gesetz
kreiert werden, dass die in Zahlungsgabe der Immobilie und somit eine
zweite Chance erlaubt (wir schlugen einen Entwurf im Parlament und im
Kongress vor und sie kippten es uns). Dies sollte eines der ersten
Elemente sein, denn viele Familien sind zu wirtschaftlichem
Ausschluss verdammt, gezwungen, das ganze Leben schwarz zu arbeiten
und somit nie wieder Füße auf festem Boden zu bekommen.
Außerdem sollte die öffentliche
Verwaltung maximalst vereinfacht werden. Die derzeitige ist sich sehr
verpflichtet gegenüber dem Bürger und das ist auch gut, aber in
vielen Gelegenheiten paralysiert sie die Aktivitäten, die die Bürger
selbst unternehmen möchten. Einige Verfahren sollten eliminiert,
andere vereinfacht und neue, effizientere gesucht werden.
Wie bewerten Sie die
Internationalisierung des Prozesses und was könnte man Ihrer Meinung
nach verbessern?:
Der wichtigste und positivste Punkt
ist, das es eine Internationalisierung des Prozesses gab und diese
sich basierend auf den großen Mobilisierungen der Bürger jeweils an
den 11. Septembern und dem partizipativem Prozess vom 9. November
vollzog.
Über verbesserungsfähige Aspekte
sprechend muss man sagen, dass Diplocat eine wichtige Arbeit
übernimmt, aber es sind Aufgaben der öffentlichen Diplomatie, nicht
der offiziellen Diplomatie. Ich will damit sagen, man kann mit
Regierungen reden, aber vor allem sollte man sich auf die zivile
Gesellschaft konzentrieren. Was wir benötigen ist eine
parlamentarische Mehrheit mit einem Mandat für die Unabhängigkeit,
die der internationalen Gemeinschaft erklärt, dass wir einen Staat
gründen wollen. Und ich glaube es ist dringend dies jetzt zu tun.
Das Problem ist, dass es immer noch
eine interne Angelegenheit ist, aber sie wird es nicht mehr sein
sobald es externe Interessen betrifft. Die internationale
Gemeinschaft wird uns nicht unterstützen weil wir Recht hätten oder
weil wir so sympathisch wären, sondern weil ihre Interessen in
Gefahr wären, wenn sich der Konflikt verlängert. Welche Interessen?
Jene der ausländischen multinationalen Unternehmen und die
Stabilität des Euros zum Beispiel. Katalonien ist eine größere
Wirtschaft als die griechische und die Ereignisse in Griechenland
haben der Eurozone geschadet. Folglich ist es von keinem Interesse,
wenn die katalanische Wirtschaft unter Spannung stünde aufgrund von
Politik. Die Regierungen sind in der Tat an diesem Thema
interessiert, denn nie zuvor haben wir so viele Anfragen für
Informationen von Seiten der Konsulate und Außenministerien
erhalten. Heute bewegen sie sich noch auf nicht-öffentlichen
Niveaus, aber sowie wir fortschreiten – ab den Wahlen – wird das
Interesse steigen. Zunächst werden sie einen internen Wandel
(wirtschaftliches Übereinkommen, Modifizierung der Verfassung)
fordern, da sie keine Grenzen verändern oder hinzufügen wollen.
Aber wir müssen uns in unserem Wunsch nach Unabhängigkeit standhaft
halten und müssen von der internationalen Gemeinschaft fordern, dass
sie in einem Referendum über die Unabhängigkeit, in dem die
Katalanen abstimmen können und welches von Katalonien, Spanien und
der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird, vermittelt oder die
Unabhängigkeit unilateral erklären. Die erste Option ist für uns
die günstigere als die zweite, da die Anerkennung sehr wichtig ist.
Können Sie die Autonomie
aussetzen?:
Sie können, aber es wäre
verfassungswidrig. Nach der Verfassung, dürfen Autonomien nicht
ausgesetzt werden. Sie können eingreifen und die Kontrolle über die
Mossos d’Escuadra (Anm. Übersetzung: Polizei) oder die Gewalt über
Bildung übernehmen, aber die Auflösung des (katalanischen)
Parlaments kann nur der Präsident der Generalitat einleiten.
Artikel 155 der Verfassung autorisiert die spanische Regierung nur
katalanischen Beamten direkte Anweisungen zu geben. Sie ist nicht
autorisiert die Kontrolle über das (katalanische) Parlament zu
übernehmen und so wird die demokratische Vertretung weiterhin
bestehen bleiben.
Sollten sie die Autonomie aussetzen,
dann würden sie hiermit das Autonomiestatut, welches Bestandteil
einer Reihe von spanischen Gesetzen ist, verletzen und dies wäre nur
in dem Fall des Ausrufs des Ausnahmezustands möglich. In diesem Fall
würden Grundfreiheiten abgeschafft und es würde sich auf die
Wirtschaft auswirken, da Investitionen abgezogen werden, sich Grenzen
schließen etc..
Auf der anderen Seite, wurde bereits in
die Autonomie eingegriffen, denn Herr Montoro ist derjenige, der über
den Haushaltsetat entscheidet und das Verfassungsgericht ist die
Institution, die die von uns kreierten Gesetze kippt.
Wenn wir alles gut machen, dann werden
sie es schwierig haben, nicht sich selbst Schaden zuzufügen.
In einem anderen Interview sagte ich
einmal, dass wir Bürger den Politikern vertrauen müssen. Können
wir darauf vertrauen, dass der Prozess in guten Händen ist?
Es bleibt uns nichts anderes übrig als
darauf zu vertrauen. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn Präsident
Mas heute etwas anderes verteidigt als ich von Seiten ERC, dann tut
er das in der Überzeugung, es sei das Beste für das Land. Aus
diesem Grund ohne Empathie wird es keine Übereinkunft geben. Wenn du
dir dessen bewusst wirst, dann wird es leichter sein zu einer
Einigung zu gelangen.
Wir müssen uns gegenseitig vertrauen.
Die politischen Parteien müssen der zivilen Gesellschaft vertrauen
und umgekehrt. Dieses System vom Gleichgewicht der Macht
funktioniert in Demokratien sehr gut und ich glaube an den Prozess.
Im Prinzip ist es das Spiegelbild des Staates, den wir konstruieren
wollen. Wenn wir dieses Gleichgewicht halten, in dem es eine
politische aber auch eine zivile Führung gibt, dann existiert ein
gewisses Vertrauen und alles wird funktionieren.
Pere Aragonés, Abgeordneter vom
katalanischen Parlament für ERC @perearagones
Diese Interview wurde durchgeführt von
Aïda Fadrique @gatadenit
(1) Die Operation Garzón war ein Polizeieinsatz, der aus der Festnahme von 45 Personen mit Verbindungen zum katalanischen Separatismus bestand. Sie stehen unter Verdacht, Mitglieder der bewaffneten Gruppen „Terra LLuire“ zu sein, obwohl diese bereits seine Auflösung gekannt gegeben hatte. Achtzehn der Festgenommenen wurden wegen Mitgliedschaft an der bewaffneten Organisation verurteilt. 2004 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den spanischen Staat aufgrund von Berichten über Folter verurteilt.
(1) Die Operation Garzón war ein Polizeieinsatz, der aus der Festnahme von 45 Personen mit Verbindungen zum katalanischen Separatismus bestand. Sie stehen unter Verdacht, Mitglieder der bewaffneten Gruppen „Terra LLuire“ zu sein, obwohl diese bereits seine Auflösung gekannt gegeben hatte. Achtzehn der Festgenommenen wurden wegen Mitgliedschaft an der bewaffneten Organisation verurteilt. 2004 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den spanischen Staat aufgrund von Berichten über Folter verurteilt.
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