Dienstag, 20. Januar 2015

Wir brauchen eine parlamentarische Mehrheit der Independentisten um der internationalen Gemeinschaft erklären zu können, dass wir einen Staat gründen wollen und es ist dringend dies jetzt zu tun

Können Sie uns Ihre persönliche Entwicklung in Bezug auf die katalanische Frage vorstellen? Wurden Sie hier von kulturellen, sozialen, ökonomischen, historischen Aspekten oder durch Familientraditionen beeinflusst?:

Ich bin Independentist seit ich ein politisches Bewusstsein erinnern kann und seitdem mich Themen, die unsere Gesellschaft betreffen, interessieren. In der Tat, ich erinnere mich noch an den Tag, an dem ich begann mich für die Unabhängigkeit zu interessieren. Es war im Jahr 1992- ich war noch sehr klein, 10 Jahre alt- als einige Independentisten im Zuge der Operation Garzón (1) verhaftet wurden, dachte ich: „Sie haben einige von uns verhaftet“. So, nehme ich an, fühlt es sich sicherlich an, wenn man sich mit etwas identifiziert, wahrscheinlich nicht sehr rational in diesem Moment. Mit der Zeit beteiligte ich mich bei der Jugend von ERC. Ich bemerkte, dass es nicht nur um die Frage von Verteidigung von Identität und Sprache ging, sondern auch um das Recht der katalanischen Gesellschaft sich nach eigenen Bedürfnissen in jeder Hinsicht (Wirtschaft, Energie, Soziales und natürlich auch Kulturelles) zu organisieren.

Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in einer einheitlichen und einer getrennten Wahlliste?:

Der Hauptvorteil einer gemeinsamen Liste liegt darin, dass sie, in einer Wahl mit plebiszitärem Charakter, den Konkurrenzkampf der Parteien um den überzeugtesten Independentisten vollständig eliminiert. Hier sollte sie tatsächlich quer, d.h. von den Christlichen Demokraten (UDC) bis zur CUP, vereinheitlicht werden.

Aus meiner Sicht ermöglichen mehrere verschieden Listen es mehr Wähler anzusprechen, da die Diversität, die es in einem Land gibt, berücksichtigt wird. Auch wenn die Independentisten auf eine Wahl um die Unabhängigkeit anstreben, so wählen die Wähler doch aus verschiedenen Gründen. Also müssen wir alle möglichen Mechanismen anbieten um die verschiedenen Empfindungen ansprechen zu können.

Jetzt führen Oriol Junqueras und Mas die Verhandlungen. Es sollten sich aber alle Parteien zusammensetzen und sprechen. Alles miteinander zu verknüpfen ist nicht einfach.

Sollte sich Katalonien morgen in einen Staat verwandeln, welche Aspekte wären als die dringendsten betrachtet, die geändert werden müssen?:

Zunächst das komplette System der Justiz, denn das spanische ist langsam, ungerecht und funktioniert nicht. So sollten auch Regulierungsmechanismen von Märkten geändert werden, denn derzeit – zu Spanien dazugehörend – sind sie von denen in Beschlag genommen worden, die sie eigentlich kontrollieren sollen (Banken, Energieproduzenten etc.).

Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit der Fassung einer katalanischen Verfassung ist, diese als partizipativ zu gestalten. Die Verfassung soll flexibel sein um sich an die Änderungen anpassen zu können, die in einer Gesellschaft möglich sind. Die aktuelle (spanische) ist sehr rigide, auch wenn sie auf eine sehr verbiegbare Weise interpretierbar ist.

In welchen Aspekten – im Konkreten – würden sich die aktuelle Situation des Autonomiestatuts von einem katalanischen Staat unterscheiden? (Zum Beispiel würde ich einen Ansatz von ernsthaften und effizienten Rechtsgrundlagen gegen Tierquälerei oder geschlechtsspezifischer Gewalt fordern)

Sobald die Unabhängigkeit proklamiert wurde und als sozialer Notfall sollte zunächst das Thema der Zahlungsausfälle von Hypotheken behandelt werden. Es muss ein Gesetz kreiert werden, dass die in Zahlungsgabe der Immobilie und somit eine zweite Chance erlaubt (wir schlugen einen Entwurf im Parlament und im Kongress vor und sie kippten es uns). Dies sollte eines der ersten Elemente sein, denn viele Familien sind zu wirtschaftlichem Ausschluss verdammt, gezwungen, das ganze Leben schwarz zu arbeiten und somit nie wieder Füße auf festem Boden zu bekommen.
Außerdem sollte die öffentliche Verwaltung maximalst vereinfacht werden. Die derzeitige ist sich sehr verpflichtet gegenüber dem Bürger und das ist auch gut, aber in vielen Gelegenheiten paralysiert sie die Aktivitäten, die die Bürger selbst unternehmen möchten. Einige Verfahren sollten eliminiert, andere vereinfacht und neue, effizientere gesucht werden.

Wie bewerten Sie die Internationalisierung des Prozesses und was könnte man Ihrer Meinung nach verbessern?:

Der wichtigste und positivste Punkt ist, das es eine Internationalisierung des Prozesses gab und diese sich basierend auf den großen Mobilisierungen der Bürger jeweils an den 11. Septembern und dem partizipativem Prozess vom 9. November vollzog.

Über verbesserungsfähige Aspekte sprechend muss man sagen, dass Diplocat eine wichtige Arbeit übernimmt, aber es sind Aufgaben der öffentlichen Diplomatie, nicht der offiziellen Diplomatie. Ich will damit sagen, man kann mit Regierungen reden, aber vor allem sollte man sich auf die zivile Gesellschaft konzentrieren. Was wir benötigen ist eine parlamentarische Mehrheit mit einem Mandat für die Unabhängigkeit, die der internationalen Gemeinschaft erklärt, dass wir einen Staat gründen wollen. Und ich glaube es ist dringend dies jetzt zu tun.
Das Problem ist, dass es immer noch eine interne Angelegenheit ist, aber sie wird es nicht mehr sein sobald es externe Interessen betrifft. Die internationale Gemeinschaft wird uns nicht unterstützen weil wir Recht hätten oder weil wir so sympathisch wären, sondern weil ihre Interessen in Gefahr wären, wenn sich der Konflikt verlängert. Welche Interessen? Jene der ausländischen multinationalen Unternehmen und die Stabilität des Euros zum Beispiel. Katalonien ist eine größere Wirtschaft als die griechische und die Ereignisse in Griechenland haben der Eurozone geschadet. Folglich ist es von keinem Interesse, wenn die katalanische Wirtschaft unter Spannung stünde aufgrund von Politik. Die Regierungen sind in der Tat an diesem Thema interessiert, denn nie zuvor haben wir so viele Anfragen für Informationen von Seiten der Konsulate und Außenministerien erhalten. Heute bewegen sie sich noch auf nicht-öffentlichen Niveaus, aber sowie wir fortschreiten – ab den Wahlen – wird das Interesse steigen. Zunächst werden sie einen internen Wandel (wirtschaftliches Übereinkommen, Modifizierung der Verfassung) fordern, da sie keine Grenzen verändern oder hinzufügen wollen. Aber wir müssen uns in unserem Wunsch nach Unabhängigkeit standhaft halten und müssen von der internationalen Gemeinschaft fordern, dass sie in einem Referendum über die Unabhängigkeit, in dem die Katalanen abstimmen können und welches von Katalonien, Spanien und der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird, vermittelt oder die Unabhängigkeit unilateral erklären. Die erste Option ist für uns die günstigere als die zweite, da die Anerkennung sehr wichtig ist.

Können Sie die Autonomie aussetzen?:

Sie können, aber es wäre verfassungswidrig. Nach der Verfassung, dürfen Autonomien nicht ausgesetzt werden. Sie können eingreifen und die Kontrolle über die Mossos d’Escuadra (Anm. Übersetzung: Polizei) oder die Gewalt über Bildung übernehmen, aber die Auflösung des (katalanischen) Parlaments kann nur der Präsident der Generalitat einleiten. Artikel 155 der Verfassung autorisiert die spanische Regierung nur katalanischen Beamten direkte Anweisungen zu geben. Sie ist nicht autorisiert die Kontrolle über das (katalanische) Parlament zu übernehmen und so wird die demokratische Vertretung weiterhin bestehen bleiben.

Sollten sie die Autonomie aussetzen, dann würden sie hiermit das Autonomiestatut, welches Bestandteil einer Reihe von spanischen Gesetzen ist, verletzen und dies wäre nur in dem Fall des Ausrufs des Ausnahmezustands möglich. In diesem Fall würden Grundfreiheiten abgeschafft und es würde sich auf die Wirtschaft auswirken, da Investitionen abgezogen werden, sich Grenzen schließen etc..

Auf der anderen Seite, wurde bereits in die Autonomie eingegriffen, denn Herr Montoro ist derjenige, der über den Haushaltsetat entscheidet und das Verfassungsgericht ist die Institution, die die von uns kreierten Gesetze kippt.

Wenn wir alles gut machen, dann werden sie es schwierig haben, nicht sich selbst Schaden zuzufügen.

In einem anderen Interview sagte ich einmal, dass wir Bürger den Politikern vertrauen müssen. Können wir darauf vertrauen, dass der Prozess in guten Händen ist?

Es bleibt uns nichts anderes übrig als darauf zu vertrauen. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn Präsident Mas heute etwas anderes verteidigt als ich von Seiten ERC, dann tut er das in der Überzeugung, es sei das Beste für das Land. Aus diesem Grund ohne Empathie wird es keine Übereinkunft geben. Wenn du dir dessen bewusst wirst, dann wird es leichter sein zu einer Einigung zu gelangen.

Wir müssen uns gegenseitig vertrauen. Die politischen Parteien müssen der zivilen Gesellschaft vertrauen und umgekehrt. Dieses System vom Gleichgewicht der Macht funktioniert in Demokratien sehr gut und ich glaube an den Prozess. Im Prinzip ist es das Spiegelbild des Staates, den wir konstruieren wollen. Wenn wir dieses Gleichgewicht halten, in dem es eine politische aber auch eine zivile Führung gibt, dann existiert ein gewisses Vertrauen und alles wird funktionieren.

Pere Aragonés, Abgeordneter vom katalanischen Parlament für ERC @perearagones

Diese Interview wurde durchgeführt von Aïda Fadrique @gatadenit

(1) Die Operation Garzón war ein Polizeieinsatz, der aus der Festnahme von 45 Personen mit Verbindungen zum katalanischen Separatismus bestand. Sie stehen unter Verdacht, Mitglieder der bewaffneten Gruppen „Terra LLuire“ zu sein, obwohl diese bereits seine Auflösung gekannt gegeben hatte. Achtzehn der Festgenommenen wurden wegen Mitgliedschaft an der bewaffneten Organisation verurteilt. 2004 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den spanischen Staat aufgrund von Berichten über Folter verurteilt.



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