Dienstag, 25. Februar 2014

Schausberger: Die Ermöglichung einer Volkswillenskundgebung entspricht einfach dem europäischen Demokratiestandard








„Die Ermöglichung einer Volkswillenskundgebung entspricht einfach dem europäischen Demokratiestandard und ein Verbot oder eine Verhinderung davon ist unter dem Niveau der europäischen Demokratie.” Franz Schausberger, Vorsitzender des Instituts der Regionen Europas.


Am 15. November 2013 begrüßte das Internationale Pressekabinett der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) Herrn Univ. Prof. Dr. Franz Schausberger.


Franz Schausberger ist ein österreichischer Politiker und Historiker. Von 1996 bis 2004 war er Landeshauptmann von Salzburg und ist Vorsitzender des Instituts der Regionen Europas.


Franz Schausberger: Auf Deutsch? Besser, wenn man die Feinheiten in der Muttersprache ausdrücken und wiedergeben kann.

ANC: Das stimmt. Wir sind von der internationalen Sektion vom ANC, die vor allem die Internationalisierung des Prozesses anstrebt und betreibt, besonders in den Medien.

Franz Schausberger: Ja, das ist eine sehr wichtige Aufgabe. Ich habe nämlich schon gesagt, dass das intensiviert werden muss.

ANC: Ich muss auch zugeben, dass ich mich persönlich freue, sie heute hier kennenzulernen, weil ich sie in meiner Diplomarbeit zitiert habe. Damals hatte ich Ihren Artikel „Staaten kommen und gehen” gelesen, und Sie waren einer der wenigen in der deutschsprachigen Presse, die dem Prozess positiver und objektiver gegenüberstanden und das fand ich sehr interessant.

Franz Schausberger: (Lachen) (zu seinem Dolmetscher, Ramon Torra: Ja, das hatten Sie mir gesagt.) Gut.

ANC: Wir haben verschiedene Fragen in der Gruppe zusammengetragen. Zur ersten Frage:

Wie schätzen Sie generell den Unabhängigkeitsprozess ein, zum Beispiel in Bezug auf die Mobilisierungen wie den Katalanischen Weg, die Organisation der ANC außerhalb von Katalonien … Was ist Ihr Eindruck?

Franz Schausberger: Also, ich beginne mit dem zweiten Teil der Frage: Als jemand der von außen kommt, muss ich sagen, das Wissen über die Gründe, warum man hier in Richtung Unabhängigkeit gehen will, sind natürlich fast überhaupt nicht bekannt. Das heißt, die Information über das Geschehen ist wesentlich geringer, also das Wissen, als zum Beispiel bei Schottland. Das ist einmal ein Faktum. Und daher gibt es auch viele Missverständnisse. Und daher gibt es auch – und das sage ich gerade mit Hinblick auf die Medien und auch die Journalisten – dieses unsympathische Image „das sind Nationalisten”. Weil der Nationalismus in Europa aufgrund der Geschichte, aufgrund der Vergangenheit ein sehr schlechtes Image hat. Und die Nationalisten immer sozusagen die äußersten Rechtspopulisten sind. Da muss man, glaube ich, sehr aufpassen. Ich sehe das sehr neutral, ich sage auch klar, ich bin ein Dezentralist in Europa. Das heißt, ich spreche mich immer gegen die Zentralisten und für den Dezentralisierungsprozess aus. Und daher kann man natürlich eine gewisse Sympathie für Katalonien ablesen. Aber die Karte „Nationalismus” ist eine schlechte Karte. Die Karte „einer starken Minderheit in einem großen Land und die Einhaltung der Minderheitenrechte und der Menschenrechte” ist eine positive Karte. Und daraus sollte man für die Projektion nach Außen Konsequenzen ziehen.

Das Zweite, was die Situation hier betrifft: So habe ich gestern einen langjährigen Bekannten, den Jordi Pujol getroffen. Ich war wirklich sehr beeindruckt, dass ein Mann über achtzig, der eine wirklich große, jahrzehntelange politische Erfahrung hat, ein ungeheures Wissen, nicht nur über die Situation hier, sondern auch über die einzelnen Länder alles weiß, Geschichte etc., und der mir sehr glaubwürdig gesagt hat, wie lange er in seinem Leben davon überzeugt gewesen ist, dass er die Eigenständigkeit von Katalonien, also die kulturelle Eigenständigkeit, die sprachliche Eigenständigkeit der Katalanen, versucht hat innerhalb Spaniens umzusetzen. Also mit einer sehr konstruktiven und positiven Einstellung. Das ist nicht jemand, der von der Jugend auf ein Revolutionär gewesen und für die Unabhängigkeit eingetreten ist, sondern ein Mann, der eigentlich den größten Teil seines Lebens für ein Miteinander eingetreten ist. Das hat mich sehr beeindruckt. Und wenn so ein Mensch dann in seinem letzten Lebensabschnitt sagt: „Aber ich muss leider konstatieren, dass dies nicht möglich ist und deshalb unterstütze ich die Bewegung hin zur Unabhängigkeit”. Dann müssten eigentlich alle Seiten darüber nachdenken. Denn er macht das nicht leichtfertig, das ist wohl überlegt und begründet. Das heißt noch nicht, dass Spanien mit fliegenden Fahnen zur Unabhängigkeit „ja” sagt, das versteht man. Aber man müsste darüber nachdenken, ob man nicht von spanischer Seite Fehler gemacht hat.


ANC: Was denken Sie, was vielleicht ihre Organisation diesbezüglich tun könnte? Könnte das Institut der Regionen Europas in diesem Prozess vermitteln? Internationaler Beobachter sein falls es zu Wahlen bzw. einem Referendum kommt? Vielleicht ein Vermittler zwischen Katalonien und Europa sein?
Franz Schausberger: Was wir einbringen können, das ist natürlich ein beträchtliches Know-how in den Fragen der Stärkung der Regionen, ihrer Rechte ... und der Frage, was passiert, wenn man über lange Zeit diese Forderungen und diese Rechte missachtet. Mein Institut und ich persönlich sind nicht Separatisten. Wir versuchen, die Dezentralisierung und Regionalisierung so zu vollziehen, dass die Menschen in der Region zufrieden sind und sagen „OK, unter diesen Umständen sind wir durchaus bereit, in einem Gesamtstaat weiterzumachen, in einer guten Kooperation”. Aber ich sage immer: Wer auf Dauer die Minderheitenrechte bzw. Rechte der Regionen missachtet, der hat die Verantwortung dafür, wenn eine Region dann sagt, wir möchten uns selbstständig machen, weil wir sehen, dass wir sonst nicht weiterkommen. Und daher versuchen wir immer, den Zentralstaat dazu zu bewegen – darin sehe ich meine Aufgabe – den Regionen, die das aus gutem Grund fordern, die entsprechende Autonomie zuzugestehen. Und da gibt es ja viele Abstufungen. Eine Bevölkerung wie die Kataloniens hat gute Gründe, zu sagen, was man im kulturellen, im sprachlichen, im ökonomischen Bereich etc. an Eigenständigkeit haben will, dass das eine hohe Autonomie sein sollte, das ist keine Frage. Wenn das immer abgeschmettert wird, dann muss man gewärtig sein, dass die Region sagt, wenn nicht, dann machen wir es alleine.

ANC: Welche Mechanismen hat Europa, um an dieser Stelle zu vermitteln? Weil die Situation ist folgende: Spanien zeigt, wie Sie schon andeuten, absolut keine Bereitschaft zum Dialog. Damals haben Sie in ihrem Artikel gesagt, dass Europa objektive Kriterien schaffen soll. Dass also sowohl für die Verschmelzung von Staaten als auch das Aussteigen einer Nation oder eines Volkes aus einem Staat die gleichen Kriterien angewendet werden sollten. Und in Montenegro wurden die 50 Prozent Mindestbeteiligung und 52 Prozent für die Anerkennung der Souveränität festgelegt – würde Europa dann auch diese Regelung in Katalonien anwenden angesichts dieser ablehnenden Position Spaniens und vermitteln?

Franz Schausberger: Ich verlange von Europa und auch hier vor Ort etwas mehr Gelassenheit. Das war meine Aussage „Staaten sind gekommen und Staaten sind verschwunden”. Das muss man long term sehen, es ist noch nie die Welt untergegangen, wenn ein Staat verschwunden ist. Und auch nicht, wenn aus einem drei gegründet wurden. Hier erwarte ich von weitblickenden Politikern mehr Gelassenheit, auch auf europäischer Ebene. Zweitens ist momentan natürlich diese Frage noch eine interne Angelegenheit. Ich würde es aber für sehr sinnvoll erachten, wenn die EU jetzt nicht die Augen zumacht, dass es solche Entwicklungen gibt, es ist ja nicht nur Katalonien, sondern es sind auch Schottland, Belgien und andere. Ich würde mir einfach mal – damit man nicht überrascht ist – auf europäischer Ebene Kriterien überlegen, wie man mit den Fällen umgeht. Wobei auch da dann Pragmatismus angesagt ist, denn die Fälle sind ja nicht vergleichbar. Jeder Fall ist ein Fall für sich. Es geht ja um die Frage, wenn eine Region Selbstständigkeit erreicht, und sagt „wir kommen aus einem EU-Mitgliedsland und wir wollen auch EU-Mitglied sein”. Es könnte natürlich sein, dass es eine arme Region ist und nicht die Kriterien erfüllt, um ein eigenständiges Mitglied zu sein. Es muss schon eine Prüfungsmethode geben, ob dieses neue Land die Kriterien erfüllt. Und es ist ja auch nicht gesagt, dass ein solches Land wirklich die demokratischen Forderungen erfüllt. Alle diese Dinge müssen irgendeiner Prüfung unterzogen werden. Da gibt es dann ganz pragmatisch den langen Weg wie ihn zum Beispiel Kroatien gehen musste und dann gibt es einen kurzen Weg, den Island hätte gehen können. Und vielleicht gibt es einen noch kürzeren Weg. Ich würde das für Katalonien auch nicht als die essenzielle Frage hochstilisieren. Ich bin ganz sicher, wenn es dann soweit ist, dann wird auch Europa einen ganz pragmatischen Weg finden. Denn ein Land wie Katalonien mit 7,5 Millionen Einwohnern ist ein Faktor in Europa. Und da kann man nicht sagen, wir wollen gar nicht, dass du dabei bist. Im Gegenteil, natürlich wird Europa daran interessiert sein, dass es dabei ist. Und es war genauso interessiert, dass jetzt Montenegro hinzukommt mit 600.000 Einwohnern. Da wird in der EU dann sehr pragmatisch gehandelt. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg und der muss erst noch gegangen werden.

ANC: Ich finde es interessant, dass Sie sagen, es handelt sich immer noch um ein internes Problem Spaniens. Dazu gab es nämlich auch eine Frage, denn die Katalanen sehen das nicht so. Inzwischen haben sie sich mittels des ANC in über 20 Ländern organisiert, die Mobilisierungen in den letzten zwei Jahren von mehr als 1,5 Millionen Bürgern waren die zahlreichsten seit dem Mauerfall in Europa, das heißt, Katalonien verlangt vor der Welt Demokratie. Besonders in Bezug auf die negative Haltung Spaniens gegenüber dem Dialog. Deshalb auch die Frage, was für eine Rolle kann hier die internationale Gemeinschaft spielen? Inwiefern kann sie Katalonien helfen, auf friedliche Weise aus dieser Sackgasse, in der wir uns momentan befinden, herauszukommen?
Franz Schausberger: Wissen Sie, sicher ist erstmal der erste Punkt: dass man der Bevölkerung die Möglichkeit gibt, ihren Willen kund zu tun.

ANC: Ein Referendum?

Franz Schausberger: Ja, wie auch immer. Ob es nun eine Befragung oder ein Referendum ist. Aber es sollte doch klar herauskommen, was will die Bevölkerung. Das kann ja auch ein Risiko sein, es kann ja auch negativ ausgehen. Also, das würde ich als einen europäischen Demokratiestandard ansehen, wenn man der Bevölkerung die Möglichkeit gibt, seinen Willen kund zu tun. Und da komme ich wieder zu den Minderheitenrechten. Katalonien und seine Bevölkerung sind eine starke Minderheit in einem Land und die will durch ihre Vertreter etwas kundtun. Und daher muss man ihr diese Möglichkeit geben. Meines Erachtens entspricht ein Verbieten der Klärung dieser Frage nicht dem europäischen Demokratiestandard. Das ist eine wichtige Argumentation und das hat die britische Regierung erkannt und das ist auch für die Schotten ein Risiko, es kann sein, dass nicht die Mehrheit für eine Abspaltung ist. Und damit ist dann auch der Weg offen für diejenigen, die gegen die Unabhängigkeit sind, für ihre Position zu werben, das ist in der Demokratie kein Problem. Das wird dann darauf ankommen, wo die Menschen mehr Vertrauen haben und denken, dass es ihnen besser gehen wird. Aber erstmal muss man die Möglichkeit bieten, sich kund zu tun und ich glaube, das ist eine wichtige Sache. Und das muss auch in Europa transportiert werden. Es ist noch ganz wichtig, dazu ein Minderheitenrecht zu gestalten. Spanien hat die Menschenrechtserklärungen unterschrieben, die Minderheitenrechte usw. Dann muss man auch danach handeln. Alles andere ist ein kleinkariertes politisches Spiel, das langfristig zu nichts führt und keine Lösung des Problems ist und nur die Situation verschärft.

ANC: Ja, was zurzeit hier auch die Situation verschärft ist die immer stärkere Zentralisierung, die vom spanischen Staat ausgeht, mit der Krise als Vorwand. Die Regierung verabschiedet Gesetze und Regelungen, um die Freiheiten der Regionen weiter zu beschneiden und sie sozusagen auch finanziell noch mehr an Spanien zu ketten. Was nun genau eine gegenteilige Tendenz ist zu all dem, was Sie sagen und die Spannungen erhöht. Deshalb sieht es momentan gar nicht so aus, als ob wir vorankommen werden. Wir wissen auch, dass Spanien die Menschenrechtserklärungen unterschrieben hat, aber in einigen Punkten trotzdem nicht einhält. Generell ist die Situation also extrem verfahren. Deswegen war auch die Frage: Was kann Europa für Katalonien tun, an wen kann sich Katalonien wenden? Was kann die Zivilbevölkerung tun? Wir organisieren uns, wir demonstrieren, wir sind präsent im Internet und versuchen, unsere Gründe zu erklären. Aber die Frage ist, was wäre ein praktischer Schritt, um das was Sie sagen, erreichen zu können? Wird Europa mit Spanien sprechen und sagen, die Katalanen sollen doch erstmal feststellen dürfen, wie viele tatsächlich für die Unabhängigkeit sind?

Franz Schausberger: Es wird keinen formalen Anhaltspunkt geben, dass sich die EU einmischt. Das wird sehr schwierig sein. Aber was gemacht werden muss ist das europäische Lobbying zu intensivieren. Man muss diese Gründe aufzeigen: wir wollen ein demokratisches Recht einfordern, das eigentlich überall in Europa normalerweise gegeben ist. Was ich ganz offiziell sagen kann und wogegen wir kämpfen in Bezug auf die Regionen in der EU, dass man aus ökonomischen und Einsparungsgründen die regionale Demokratie nicht reduzieren darf. Das geht nicht. Und das trifft nicht nur Spanien, das ist eine generelle Aussage. Und das widerspricht dem Subsidiaritätsprinzip, das seit dem Vertrag von Lissabon in der EU so stark ist. Und das widerspricht allen Überlegungen und Werten. Natürlich ist das auch mit der Frage der Unabhängigkeit verwoben, aber das würde ich ein bisschen auf eine andere Ebene bringen. Da geht es nicht nur um die Unabhängigkeit, da wird auch gegen Anderes verstoßen.

Ganz wichtig ist für Katalonien das Suchen von Verbündeten auf der europäischen Ebene. Man muss mit den wichtigsten Politikern anderer Länder reden. Da liegt Katalonien momentan völlig bang.


ANC: Ich hatte auch untersucht; wie die Unabhängigkeit Kataloniens in der deutschsprachigen Presse beurteilt wird und das Ergebnis war absolut entmutigend.


(Ramon Torra stimmt zu.)


Es war gleichzeitig interessant, wie wenig fundiert die Argumente waren. Das ist meines Erachtens im Unwissen begründet. Davon zeugt auch, dass die Journalisten, die zur Wahlbeobachtung gekommen waren im letzten November, das Wahlergebnis ganz anders interpretiert und überhaupt nicht seine tatsächliche, unterschwellige Bedeutung für die Unabhängigkeitsbewegung gesehen haben.

Franz Schausberger: Ja, schauen Sie, die sitzen an ihrem Schreibtisch in Wien oder Berlin oder sonst wo ...

ANC: oder in Madrid...

Franz Schausberger: Ja, und schreiben die Agenturberichte derer ab, die in Madrid sitzen. Die recherchieren ja auch gar nicht.

Ramon Torra: Die lesen El Mundo, El País und dann wird abgeschrieben.

Franz Schausberger: Der Journalismus heutzutage hat ja gar nicht mehr die Zeit, zu recherchieren (...) und eine Agentur von hier aus hat natürlich auch richtig viel zu tun.

ANC: Noch eine Frage: In einem Buch Com Àustria o Dinemarca / „Wie Österreich oder Dänemark” über ein mögliches Katalonien, wird Artur Mas zitiert, als er ein unabhängiges Katalonien mit Österreich vergleicht. Sehen Sie eventuelle Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern und in welchen Bereichen?

Franz Schausberger: Na, das ist ganz einfach zu beantworten. Die Vergleichbarkeit liegt in der Größe bzw. der Einwohnerzahl. Es gibt keine Frage, dass ein Land wir Dänemark oder Österreich selbst bestehen kann...


ANC: ... oder Katalonien.


Franz Schausberger: Ja, wir haben 8 Millionen ... also solche Länder, oder wie Luxemburg. Die europäische Ebene hat sehr die Selbstständigkeit von Montenegro mit 600.000 Einwohnern unterstützt, das ist so viel wie meine Region Salzburg. Das ist nicht das Thema. Es soll niemand sagen, Katalonien ist zu klein, um selbstständig zu sein.

ANC: Ist Europa auch dieser Entstehung von kleineren Staaten statt großer Nationalstaaten gegenüber aufgeschlossen?

Franz Schausberger: Nein, das kann man generell so nicht sagen.

ANC: Dass die Regionen eine stärkere Rolle spielen könnten, mehr Unabhängigkeit bekommen und es mehr ein Europa der Nationen und Völker wäre und nicht so sehr ein Europa der großen Nationalstaaten? Ist das eine zukünftige Tendenz?

Franz Schausberger: Das ist nicht das Thema. Das Thema ist, wie ist die Vergangenheit, die Sprache, die Kultur, auch die Wirtschaft ... das sind Kriterien, die angelegt werden. Man kann aber von keiner Tendenz zu kleineren Staaten in Europa sprechen. Die Unzufriedenheit hat ja ihre Gründe und die muss man aufdecken. Ich glaube nicht, dass es in Deutschland ein Land gibt, nicht einmal Bayern, das sagt, es möchte unabhängig werden. So, jetzt könnte natürlich sein, dass Berlin sagt, jetzt reduzieren wir alles den Bayern auf die Hälfte, dann würden die Bayern vielleicht auch die Unabhängigkeit wollen. Da ist auch wiederum eine Frage, die man nicht nur auf Kriterien beschränken kann. Diese Situationen haben eine starke emotionale Komponente, die viele nicht verstehen.

ANC: Katalonien zum Beispiel ist eine tausendjährige Nation, die in den letzten dreihundert Jahren nicht einmal als Nation existieren durfte und das ist auch das, was für viele Menschen schwer wiegt.

Franz Schausberger: Man sollte vielleicht von einem eigenen Volk reden, das ist schon besser als „Nation”. Was ist eine Nation? Schauen Sie, wir Österreicher und die Deutschen wir haben die gleiche Sprache und in der Zwischenkriegszeit hat es bei uns sehr viele gegeben, die sich sozusagen zur deutschen Nation bekannt haben und es den Anschlussgedanken gab ... dann kam der Krieg und seit Mitte der 1950er-Jahre gibt es überhaupt keinen Widerspruch mehr zur österreichischen Nationalität. Wir können nicht einmal sagen, dass wir wie Katalonien und Spanien eine andere Sprache haben. Aber es gibt eine total unterschiedliche Geschichte und total unterschiedliche Kultur zu Deutschland und die kommt auch emotional zum Ausdruck. Und der Anschlussgedanke damals kam aus wirtschaftlichen Gedanken. Aber trotzdem würde heute niemand sagen, ich fühle mich der deutschen Nation zugehörig.


ANC: ... deshalb ist dann eben die Frage, wie man „Nation” definiert. Bei den Katalanen ist es so, da ist dieses Nationalgefühl in den letzten dreihundert Jahren noch verstärkt worden, um den Zusammenhalt des Volkes zu garantieren, den Erhalt ihrer Kultur zu garantieren. Es handelt sich hier um ein sehr seltenes Beispiel, dass ein Land so lange Zeit absorbiert wurde und trotz physischer Grenzen und der starken Zwangsintegrierung weiterbestehen konnte. Und deswegen werden auch diese vielen Einmischungen seitens des Staats wie das letzte Bildungsgesetz von Wert, wenn also die sprachliche Freiheit des Katalanischen in den Schulen eingeschränkt wird, das wird als sehr schlimm empfunden, weil die Sprache eben einen Teil des Schutzschilds für das katalanische Volk darstellt. Und dies wird auch wirklich als Attacke empfunden. Zwar innerhalb der offiziellen Spielregeln aber trotzdem ... wenn wir uns jetzt vor dreihundert Jahren befinden würden, wäre dieser Zwang mit Bajonetten ausgeführt worden, nur heute wird dies mit Gesetzen gemacht.

Franz Schausberger: Wie kommen Sie nach Katalonien?



ANC: Ich bin grundsätzlich zum Arbeiten hergekommen, dann habe ich mich verliebt und inzwischen auch drei Kinder, die Katalanisch und Deutsch sprechen.



Franz Schausberger: Ja, genau wie hier der Herr Torra, nur andersherum. (allgemeines Lachen)

ANC: Und ich muss sagen, ich bin persönlich für den Unabhängigkeitsprozess, weil ich Demokrat bin. Ich denke, es ist auch ein Zeichen, dass man in den großen Mobilisierungen viele englische Plakate gesehen hat und viele ausländische Gesichter, weil die Menschen, die hier leben und nicht katalanisch sind auch diesen Druck von der Zentralregierung spüren im täglichen Leben und die Einschränkungen. Und das als demokratische Europäer nicht akzeptieren können.




Franz Schausberger: Das würde ich ganz stark herausstreichen. Dass die Ermöglichung einer Volkswillenskundgebung einfach dem europäischen, demokratischen Standard entspricht und ein Verbot oder eine Verhinderung davon unter dem Niveau der europäischen Demokratie ist.

ANC: Wir haben es eben mit einem Land zu tun, dass eine Verfassung 1978 unterschrieben hat unter sehr schwierigen Umständen und es ist das einzige Land in Europa, das nach dem Faschismus nicht neu angefangen hat. Das sieht man selbst in der Korruption. Es existiert heute die gleiche politische Korruption wie sie damals um Franco herum entstanden ist, als die Unternehmerelite ihn unterstützte, um ihren eigenen Status zu behalten und das hat sich fortgesetzt. Und das Gleiche im juristischen Bereich, wie zum Beispiel im Obersten Gerichtshof (...) das ganze System ist nie reformiert wurden, man hat nie neu angefangen wie damals in Deutschland oder Österreich.

Ramon Torra: Das ist auch das, worüber die Presse im Ausland die Augen zumacht. So wie die Volkspartei hier sich im Kongress einfach geweigert hat, den Faschismus zu verurteilen. Und das kommunizieren sie nicht in Europa. Man muss sich mal vorstellen, was passieren würde, wenn in Deutschland Abgeordnete der wichtigsten Partei sich weigern würden, den Nazismus zu verurteilen. Das ist nicht denkbar. Und das wird hier (in Spanien) gemacht und kein Wort ist darüber in Europa zu lesen. Und es wurde hier keine grundsätzliche Aufarbeitung der Vergangenheit durchgeführt.

ANC: Und die jetzigen Generationen, die in Spanien aufwachsen, wachsen eben mit dieser Unkenntnis auf; also was schätzt die Gesellschaft in ihrer Vergangenheit als ethisch und nicht ethisch ein. Sie wachsen mit dieser Ignoranz auf und gleichzeitig einer Ignoranz gegenüber den Minderheiten. Als Beispiel dient die Tatsache, dass in der Verfassung festgeschrieben wurde, dass Katalanisch und Baskisch nur in ihren Regionen Amtssprachen sind, das war ein großer Fehler. Man hätte es damals wie in der Schweiz machen sollen, mindestens sollte jeder ein Minimum der anderen Sprachen im Staat beherrschen, darauf hätte bestanden werden müssen. Und allein dadurch hätten die neuen Generationen der Spanier auch mehr katalanische und baskische Kultur kennengelernt und das hätte natürlich...

Franz Schausberger: ... das gegenseitige Verständnis gefördert.

ANC: Genau. All das stammt noch von der bourbonischen Zentralisierung, die hat immer im Vordergrund gestanden. Und es gibt heute noch eine Stiftung, die das Andenken und die Weltanschauung Francos weiterhin promoviert. Den Vorsitz hat seine Tochter inne und dieser Verein wird vom spanischen Staat finanziert ...

Ramon Torra: ... auch von den Sozialisten. Und das ist die große Schande. Diese Institutionen werden einfach vererbt und es gibt immer noch das Monument Francos im Valle de los Caídos, und eine Denkstätte, wo wirklich Leute noch hinfahren und Blumen niederlegen.

Franz Schausberger: Das war eben der Fehler in der letzten Phase von Franco, dass Europa das nicht realisiert hat und Spanien nicht verstanden hat. Na, das ist schon ein bisschen diktatorisch, aber da machen wir ein Auge zu. Und deshalb war es möglich, dass so eine „schlampige” Transition, wie man umgangssprachlich sagen würde, stattfinden konnte.

ANC: Ja, vielleicht ändert sich bald die Akzeptanz gegenüber Spanien in Bezug auf die Korruption und all dem Genannten in Europa. Danke für Ihre Zeit für den ANC.

Franz Schausberger: Danke für Ihr Interesse. Und für das deutsche Interview, das ist schon wirklich besser für die Nuancen.

ANC: Danke, wir wünschen Ihnen eine gute Reise.



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