Dienstag, 10. September 2013

Der katalanische 11. September






Seit 1714 ist der 11. 9. ein wichtiger Tag für Katalonien; es ist nämlich der Tag, an dem das katalanische Volk vor knapp 300 Jahren genau die Volksrechte verlor, die es jetzt zurückgewinnen will. 1980, 4 Jahre nach der spanischen Rückkehr zur Demokratie, wurde der 11. September vom katalanischen Landesparlament zum Nationalfeiertag - La Diada - erklärt und heute hoffen Hunderttausende, vielleicht sogar einige Millionen Menschen, dass 2013 das letzte Jahr ist, an dem dieses Andenken unter der Hoheit Spaniens begangen werden muss. Man klagt darüber, dass Spanien viel mehr dafür tut, die Katalanen zu entfremden, als dafür, sie bei sich zu behalten. Es gibt allerdings auch viele Katalanen, die einfach noch nicht glauben wollen, dass der Traum eines eigenen Staates in greifbahrer Nähe liegt. Sie sind davon überzeugt, dass das Reich der Borbonen einen Austritt ganz einfach nicht 'erlauben' und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln 'verhindern' würde.


Wie genau Spanien das anstellen könnte, weiss jedoch keiner so genau. Die Forderung der Radikalsten, man müsse den Katalanen die Soldaten ins Land schicken, um sie zur 'Raison' zu zwingen, erscheint denkbar unrealistisch, denn das würde die internationale Gemeinschaft eindeutig nicht dulden, um dann genauso einzuschreiten, wie in Irak, Lybien oder Syrien. Man kann im 21. Jahrhundert ein friedliches, demokratisches Aufkommen eines ganzen Volkes nicht einfach mit den Waffen unterdrücken. Aber auch ein mögliches Veto in den europäischsichen Institutionen erscheint mehr als unwahrscheinlich, denn die Katalanen sind nicht nur seit über 1000 Jahren ein bekanntes Volk auf dem europäischen Kontinent, sondern auch seit über 30 Jahren voll anerkannte Bürger der EU. Das kann keine europäische Institution, Übergangslösungen am Rande, einfach so übergehen. Und undiplomatische Rachezüge können die Spanier sich genauso wenig erlauben, wie militärische Kraftakte. Was bleibt also noch zur Verhinderung der Lostrennung der Katalanen? Oh ja, fast hätte man es vergessen: man kann sie ja nach wie vor wirtschaftlich erdrücken. Oder vielleicht doch nicht? Die spanischen Regierungen haben die 'Katalanen-Frage' seit Jahrzehnten so stümperhaft behandelt, wie man es sich nur vorstellen kann. Heute ist Katalonien praktisch darauf vorbereitet, plötzlich auf eigenen Füßen zu stehen und bevor die Spanier die Kasse zuschliessen, werden sie einfach den Schlüßel an sich nehmen. Viele Gemeinden sind bereits heute bereit, ihre Abgaben künftig an einen katalanischen (anstatt spanischen) Steuertopf zu überweisen. Der Übergang zum eigenen Staat wird sicher nicht leicht werden, jedoch kann das Volk ihn gewiss als ein Mann stemmen.


Am 11. September gehen/gingen die Katalanen wieder, wie vor einem und seit dreihundert Jahren, zu Hunderttausenden auf die Straßen, um friedlich und demokratisch zumindest ihr Recht einzufordern, mittels einer Volksbefragung selbst entscheiden zu können, wie sie ihre politische Zukunft gestalten wollen. Dabei gehen den Spaniern langsam die Argumente und die Verbündeten aus, um das zu verhindern. Allerdings weiß niemand, wie lange sie sich noch dem grundsätzlichsten aller demokratischen Grundsätze, nämlich einer Abstimmung, versperren können. Eines scheint jedoch klar zu sein: die Katalanen haben nicht nur das Volk und die Geschichte, sondern auch die völkerrechtlich-demokratische Logik auf ihrer Seite.



Thomas Spieker
In Katalonien ansässiger Meinungsautor deutscher Herkunft

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