Dienstag, 29. Januar 2013

Kampf um den Stier



Stierkampf und katalanische Autonomie erregen Spanien ohnehin, nun vermischt sich beides: Katalanische Nationalisten sehen den Stierkampf als Erbe des Unterdrückers und wollen ihn per Gesetz verbieten. Die Entgeisterung ist groß.
Hätte ein böswilliger Geist zwei besonders konfliktträchtige Themen der spanischen Agenda mischen wollen, damit sich ihr zerstörerischer Effekt gegenseitig verstärke, er hätte auf die Idee verfallen können, sich hier den Stierkampf, dort die Querelen um die katalanische Autonomie herauszupicken. Nun, der Mix ist fertig und steht auf dem Tisch. Und die Entgeisterung war groß, als das katalanische Parlament letzte Woche beschloss, eine „gesetzgeberische Volksinitiative“ zur Debatte zuzulassen, die den Stierkampf in Katalonien abschaffen könnte (Stierkampf: Stirbt der Tod am Nachmittag? ).
Die 180 000 Unterschriften, die dafür von der Tierschutzbewegung „Es reicht“ gesammelt wurden, bezeugen zweifellos einen starken politischen Willen. Doch er hätte wohl kaum eine Gesetzesdebatte erwirkt, die sechs Millionen Katalanen ein Ereignis nehmen könnte, dessen kulturelle Bedeutung und jahrhundertealte Tradition in Katalonien außer Frage stehen. Es ist eines, wenn sich Städte wie Barcelona oder Girona gegen den Stierkampf stellen und ihn aus Gemeindemitteln nicht finanzieren; ein anderes, von der autonomen Regionalregierung ein vollständiges Verbot zu fordern. In diesem Fall war die parlamentarische Mehrheit nur möglich, weil sich die katalanischen Nationalisten parteiübergreifend darauf verständigten, die „Fiesta nacional“ als urspanisches Kultursymbol auszumachen. Was also lag näher, als das Volksvergnügen des Unterdrückers zu verbannen?
Zwischen Empörung und ungläubigem Staunen
Dass die legendären Kämpfe, bei denen es José Tomás in der „Monumental“ von Barcelona mit sechs Stieren aufnahm, endgültig der Vergangenheit angehören sollen, können die meisten einfach nicht glauben. Auch im kulturellen Milieu liegt die Stimmung irgendwo zwischen Empörung und ungläubigem Staunen. „Dies ist eine Entscheidung, die mit Tierliebe sehr wenig zu tun hat, eher ein politischer Akt, der Katalonien von Spanien abgrenzen soll“, sagte der Schriftsteller Mario Vargas Llosa in der Zeitung „ABC“. „Jene, die es um der Tierliebe willen tun, sollten wissen, dass die Kampfstiere durch das Verbot kein bukolisches Leben führen, sondern aussterben werden.“ „Und in geheimer Abstimmung!“ protestiert der Filmregisseur Agustín Díaz Yanes. „Es geht doch nicht um Abtreibung!“ Der katalanische Schriftsteller Juan Marsé meinte, er verstehe nicht, wie die Initiative überhaupt habe entstehen können. Wenn Leute zum Stierkampf gehen wollten, solle man sie lassen. So oder ähnlich lautet der am häufigsten geäußerte Einwand gegen das mögliche Verbot. „Das ist ja der Vorteil“, findet der Dichter José Manuel Caballero Bonald, seinerseits längst kein Anhänger des Stierkampfs mehr: „Wer will, geht hin, wer nicht will, bleibt zu Hause.“
Unabhängig von Tierschutzerwägungen und politischen Identitätsdebatten ist Spaniern wie Katalanen reglementierendes Eingreifen der Behörden zuwider. Man nimmt es in Kauf, wenn es unumgänglich sein sollte. Aber man lädt die Behörden nicht zum Handeln ein, man lässt sie nicht ordnen, ausarbeiten und dekretieren, wenn es keine öffentliche Mehrheitsmeinung gibt, die es fordert. Das haben inzwischen auch die katalanischen Sozialisten (PSOE) und Ministerpräsident José Montilla erkannt. Schon ist von einer verwässerten Version des Verbots die Rede, bei der die Corrida nicht abgeschafft, sondern mit strengen Auflagen versehen würde wie jener, dass der Stier, wie in den Arenen Portugals, nicht sterben dürfe. „El País“ zitiert Parteiquellen mit der Ankündigung, sollten die von den Sozialisten demnächst eingereichten Zusätze nicht akzeptiert werden, stimme die Partei gegen das Verbot. Was andererseits nichts nützen würde, denn zusammen bringen es die katalanischen Links- und Rechtsnationalisten, die sich in vielen anderen Fragen nicht ausstehen können, auf eine komfortable Mehrheit. Im Frühjahr wird entschieden.
Von Paul Ingendaay

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