Samstag, 6. April 2013

Interview Oriol Junqueras: „Wir werden ein eigener Staat sein und Spanien beraten, damit der Spanische Staat nicht noch tiefer im elend versinkt“


Frage:
Die letzte Umfrage der CEO ( katalanische CIS) besagt, dass ERC zum ersten Mal in der Demokratie bei einer hypothetischen Wahl heute die Partei CiU übertreffen würde.
Antwort:
Man kann den Umfragen nicht sehr viel Vertrauen schenken. Wir haben sehr viel Erfahrung mit grossen Erwartungen, die am Ende doch nicht erfüllt wurden. Auf jeden Fall besteht das Ziel von ERC nicht darin, die Zahl unserer Abgeordneten zu maximieren, sondern unser Land voranzubringen. Unser Ziel ist nicht, die CiU zu übertreffen, sondern die Krise hinter uns zu lassen und die Zukunft Kataloniens in die Hände der Katalanen zu legen.
Frage:
Sie sind jedoch daran interessiert, zu regieren, oder nicht?
Antwort:
Mein Interesse und meine Priorität besteht nicht darin, zu regieren; vielmehr besteht sie darin, die Zukunft Kataloniens in die Hände der Katalanen zu legen. Hierfür wurden wir gewählt. Wenn der Moment kommt, sind wir bereit, die Verantwortung auf uns zu nehmen, die dann anfallen wird. Im Moment jedoch trage ich dazu bei, dass die Regierung meines Landes so stark wie möglich ist, um das zu tun, was getan werden muss. Ich werde keine vorgezogene Wahl erzwingen, das ist, was ich im Moment am allerwenigsten wünsche.
Frage:
Ich nehme an, Sie wissen, wie die Lage ist und dass Spanien keine Erlaubnis zur Durchführung eines Referendums geben wird.
Antwort:
Das hängt auch davon ab, wie schwach der spanische Staat ist. Jedoch bewegen wir uns in einem breiteren und weiteren Kontext, in einem Kontext von parametrischen Gleichungen.  Wenn es kein Referendum gibt, dann gibt es eben Wahlen.
Frage:
ERC und CiU werden eine Einheitsliste aufstellen?
Antwort:
Nicht unbedingt. Jede Partei hat ihre Leute. Jedoch könnten wir uns mit einem gemeinsamen Programm zeigen, in dem die Unabhängigkeit der einzige Punkt wäre.
Frage:
Ich nehme an, Sie verstehen, dass die Institutionen der spanischen Regierung die Einheit Spaniens verteidigen werden?
Antwort:
Das Problem des spanischen Staates ist, dass Spanien nicht attraktiv ist. Spanien besitzt den Rekord an laufenden Verfahren über Nichteinhaltung der europäischen Normen, es ist das Land in der Welt, das am häufigsten Pleite gemacht hat im Laufe seiner Geschichte, es steht an der Spitze des Index, der das Elend in Europa misst; und nach China ist es das Land mit dem ausgedehntesten Hochgeschwindigkeits-Schnellzugsnetz der Welt, in dem jedoch keine einzige Strecke rentabel ist. Nur die Strecke Madrid- Barcelona erbringt die laufenden Ausgaben, jedoch nicht die Investition. Ein solcher Staat hat keine Zukunft.
Frage:
Wenn Sie Wirtschaftsminister Spaniens wären und dies alle regeln könnten, würden Sie dann die Unabhängigkeit Kataloniens vergessen?
Antwort:
Nein. Was für Spanien jedoch nützlich wäre, ist die Unabhängigkeit Kataloniens.
Die Unabhängigkeit Kataloniens ist gut für Katalonien und auch gut für Spanien. 
Frage:
Das heißt, die Katalanen würden dem Rest der Spanier einen Gefallen tun, indem sie unabhängig werden.?
Antwort:
Hierüber gibt es keinen Zweifel. Für den spanischen Staat wäre es nur nützlich, wenn es jemanden gäbe, der die wirtschaftlichen Entscheidungen nach wirtschaftlichen Kriterien trifft und nicht nach politischen. Der spanische Staat muss lernen, in rentablen Strukturen zu investieren und muss aufhören, dieses Ungetüm an Autobahnen ohne Autos, an Zügen ohne Passagiere und Flughäfen ohne Flugzeuge zu sein. Wenn Spanien  es nicht machen kann, so werden wir sie lehren, wie man es tut.
Frage:
Wie?
Antwort:
Zum Beispiel mit dem Mittelmeerkorridor, der den Wirtschaften der Regionen Andalusien, Murcia, Valencia und natürlich auch uns einen großen Aufschwung brächte. Ernst gesprochen, Spanien braucht jemanden, der Dinge mit „common sense“ mit gesundem Menschenverstand angeht. Jedoch scheint es niemanden zu geben. Wir in ERC wissen was gemacht werden muss. Ich will nicht Wirtschaftsminister von Spanien sein, jedoch das Beste, was einem spanischen Bürger passieren könnte, wäre, einen Wirtschaftsminister aus der Partei ERC zu haben. Wir würden zuerst einmal die Mehrwertsteuer und die Körperschaftssteuer (IRPF),senken, um die konsumierenden Familien zu schützen. Genau das Gegenteil, was die PP, die Volkspartei tut. Was auch nicht sein kann ist, dass ein produzierender Geschäftsmann 30% Steuern bezahlt, während die SICAV (societé d´investissement à capital variable- Kapitalgesellschaft mit variablem Grundkapital)  nur 1% Steuern bezahlt.
Frage: Glauben Sie nicht, dass es arrogant ist, sich als die Lösung aller Probleme darzustellen?
Antwort:
Sehen Sie, wenn wir unseren Staat haben,werden wir Sie gerne beraten was zu tun ist, um nicht tiefer ins Elend zu fallen. Wenn wir Katalanen frei sein werden, dann kann der spanische Staat, der dann seine fixe Idee verloren hat, uns abzuwürgen, sich darauf konzentrieren, die Dinge richtig zu machen. Wenn der spanische Staat nicht mehr vom Geld leben kann, das die Katalanen erarbeiten und ernstlich daran gehen muss, eigenes Geld zu erarbeiten , dann wird er vielleicht beginnen, kluge Kriterien anzuwenden, um Reichtum zu schaffen.Was der spanische Staat bis jetzt gemacht hat, ist, das Geld der europäischen Hilfen in Infrakstrukturen auszugeben, die ihm mehr Verlust einbringen, als diese Infrastrukturen bereits mit sich brachten. So kann man nicht vorankommen
Frage:
Europa und die USA haben gesagt, dass sie nichts von diesem Problem wissen wollen und dass es ein internes Problem Spaniens sei. Wie wollen Sie die Unabhängigkeit erreichen?
Antwort:
Europa und USA haben gesagt, dass es ein internes Problem ist, weil es im Moment noch keine solide Mehrheit gibt, die klar ihren Willen ausgesprochen hat. Sobald wir mit Sicherheit festgestellt haben, dass es diese Mehrheit gibt - durch ein Referendum oder, wenn der spanische Staat uns dies nicht erlaubt, durch eine plebiszitäre Wahl -  dann können Europa und die USA nicht umhin und müssen uns anerkennen und akzeptieren.
Frage:
Die Europäische Union hat nie die Teilung eines Mitgliedsstaates akzeptiert.
Antwort:
Weil dies bisher nie der Fall war. Was immer sie jetzt sagt, wenn der Moment gekommen ist, glaube ich, werden wir keine Probleme haben.Was ich jedoch überhaupt nicht verstehe, ist die Starrköpfigkeit Spaniens, das immer alles will oder nichts und das immer durch Überwaltigung des anderen gewinnen will. Hat diese Haltung Spanien zu etwas genutzt? Nie will Spanien nachgeben oder paktieren. Und so hat Spanien Kuba, Portugal, Holland verloren und so wird es auch Katalonien verlieren. Mit all diesen Ländern hat Spanien das gleiche gemacht und hat dort alles verloren. Ich kann das wirklich nicht verstehen.
Frage:
Die Tatsache, in der Europäischen Union zu sein, ist für Sie nicht fundamental?
Antwort:
Was bedeutet es, in der Europäischen Union zu sein? Abgeordnete im Europäischen Parlament zu haben? Ist das wichtig? Ist das grundwichtig? Und das sage ich Ihnen, der ich Abgeordneter in der Europäischen Union war. Was wichtig ist, dass wir als europäisches Land innerhalb eines politischen Kontextes mit garantierten Grundfreiheiten leben können. Dass der Euro - obwohl wir eine eigene Währung besässen – sofern wir nicht innerhalb der Eurozone sind –  in perfekter Harmonie als Zahlungsmittel in unserem Land zirkulieren könnte, ganz so wie es der Fall ist in Slowenien, Tschechien oder der Slowakei, die außerhalb der Eurozone sind und das ohne Probleme. Wenn die wirtschaftlichen Verbindungen stark sind, wie dies der Fall ist zwischen Großbritannien und den USA, zeigen die Währungen eine parallele Entwicklung auf. Die wirtschaftliche Realität entscheidet auch die monetäre Zirkulation und Entwicklung. Dies hat der spanische Staat nie verstanden, denn er hat immer geglaubt, dass es wichtiger sei, das Geldwesen zu kontrollieren, als das Wachstum der produktiven Arbeit. Und so haben sie natürlich ihr Weltreich verloren.
Frage:
Wo liegt Ihre Grenze bei der Unterstützung der CiU ?
Antwort:
Wir wollen helfen, die Regierung stark und dauerhaft zu halten, jedoch ist es wichtig, dass sich die Regierung helfen lässt.
Frage:
Ist die Korruption keine Grenze?
Antwort:
Ich glaube ja, wenn Oriol Pujol letzten Endes angeklagt wird, so muss er zurücktreten, um nicht seiner eigenen Partei zu schaden. Ist es das,was Sie gefragt haben? Und dieser Akt wäre schon ein viel mehr, als was die Volkspartei- PP oder Sozialisten- PSOE in ihren eigenen Korruptionsfällen machen. Aus diesem Grund können diese beiden Parteien keine großen Lektionen geben, wie man die Korruption beschneiden sollte.
Frage:
Glauben Sie wirklich, dass Katalonien eines Tages unabhängig sein wird?
Antwort:
Ja, wir werden unabhängig sein.
Frage: Der Sekretär der katalanischen Sozialisten, Pere Navarro, ist der Meinung, der König sollte abdanken und den Weg freigeben für den, der Felip VI sein wird.
Antwort:
Navarro sollte sich darum kümmern, wie wir aus der Krise herauskommen können, er sollte sich darum kümmern, die Zukunft Kataloniens in die Hände der Katalanen zu legen und nicht dem König sagen, was er tun soll.
Frage:
Eine Regierung Rubalcaba (PSOE- Sozialisten) wäre die Lösung?
Antwort:
Nein, das nützte nichts. Sowohl Sozialisten als auch die Volkspartei sind gleich unheilvoll und unglücklich. Wie die eine Partei, so die andere. Sie teilen sich die traurige Zahl, in einem Jahr eine Million Arbeitslose geschaffen zu haben. Sie wetteifern, um zu sehen, wer der Schlechteste von beiden ist. Jedoch gibt es etwas, das für uns sehr nützlich wäre. Das ist, dass Rajoy die Kontrolle der Volkspartei verliert und Aznar zurückkäme. Aznar ist bei weitem die stärkste Triebfeder, die wir für die Unabhängigkeit hatten. Er ist es auch, der geholfen hat, die meisten Befürworter für die Unabhängigkeit zu gewinnen. In Wirklichkeit war er einer der größten Schaffer von Befürwortern der Unabhängigkeit (independentistas). Nicht einmal ich kann mich in diesem Punkt mit ihm messen.
Oriol Junqueras, Präsident der Partei ERC ( Esquerra Republicana de Catalunya )
Interviewveröffentlicht in der Zeitung “El Mundo”, Freitag, 22.2.2013. Unter dem Titel „Nationalistische Herausforderung“

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