Sonntag, 24. Februar 2013

Richter Santiago Vidal: Katalonien kann einseitig seine Unabhängigkeit erklären

Santiago Vidal, Richter am Landgericht Barcelona, hat am 28.1.2013 auf einer Pressekonferenz an das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (IGH) vom 22.7.2010 gemahnt, wonach es kein internationales Gesetz gibt, das einem Teil eines Landes verbietet, sich von diesem Land loszumachen.[1]  IGH-Präsident Owada sagte damals: „Das internationale Recht kennt kein Verbot von Unabhängigkeitserklärungen“.

Die Zeit-online schrieb am 22.7.2010: „Im Februar 2008 hatte sich das Kosovo für unabhängig erklärt – unter dem Protest der serbischen Regierung. Während die Kosovo-Albaner das Selbstbestimmungsrecht der Völker für ihre Unabhängigkeit anführen, besteht Serbien auf der Unverletzlichkeit seiner Staatsgrenzen und will die frühere Provinz wieder zurückhaben.“ Ein ähnliches Verhalten ist von der spanischen Regierung, die ebenfalls auf die verfassungsmäßige Unverletzlichkeit der spanischen Grenzen pocht, zu erwarten, wenn Katalonien sich für unabhängig erklärt. Doch hat der Internationale Gerichtshof deutlich festgehalten, dass „wenn es einen Widerspruch zwischen der verfassungsrechtlichen Legalität und der demokratischen Willenskundgebung gibt, dann hat letztere Vorrang“. Außerdem hat der Internationale Gerichtshof festgehalten: „Wir erklären, dass in einer demokratischen Gesellschaft – im Gegensatz zu einer Diktatur – es nicht das Gesetz ist, das den Willen der Bürger determiniert, sondern dass es eben dieser Wille der Bürger ist, der die Legalität schafft und ändert, wenn es nötig ist.“ 

Genauso wie die serbische Regierung schlechte Karten gehabt hat, so wird offenbar auch die spanische Regierung schlechte Karten haben, wenn Katalonien, mit absoluter oder gar der Zweidrittelmehrheit seines neugewählten Parlaments einseitig seine Unabhängigkeit erklärt. Im Falle des Kosovo hatten zur Zeit des Rechtsgutachtens schon 69 Staaten, darunter auch Deutschland, das Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt. Die Zeit schrieb: „Auch die Regierung in Washington begrüßte das Gutachten. Damit werde nachhaltig festgestellt, dass "die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo rechtmäßig ist", sagte Außenamtssprecher Philip Crowley.“
Die Zeit schrieb weiter: „Vor allem Länder, die Unabhängigkeitsbewegungen innerhalb der eigenen Grenzen bekämpfen, lehn[t]en [...] eine Anerkennung des neuen Balkan-Staates ab.“ Und weiter: „Insgesamt fünf Mitgliedsstaaten – allen voran Spanien – spr[a]chen sich entschieden gegen ein unabhängiges Kosovo aus.“ 

Richter Vidal aus Barcelona erinnert daran, dass sich seit 1900 über 20 europäische Länder für unabhängig erklärt haben, als erstes Norwegen von Schweden im Jahr 1903, als derzeit letztes eben Kosovo von Serbien im Jahr 2008. In diesem Lichte scheint es immer wahrscheinlicher, dass das spanische Verfassungskorsett, das den Katalanen die Selbstbestimmung verweigert, von einer demokratischen Mehrheitsentscheidung der katalanischen Wähler gesprengt werden wird.



Prof. Dr. Tilbert Dídac Stegmann

Institut für Romanische
Sprachen und Literaturen
Forschungsstelle Katalanistik

(1) “The Court has concluded above that the adoption of the declaration of independence of 17 February 2008 did not violate general  international law, Security Council resolution 1244 (1999) or the Constitutional Framework.  Consequently the adoption of that declaration did not violate any applicable rule of international law.” Der Bezug war auf die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos im Jahr 2008.

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