Europa kann jubeln. Jetzt hat es in der Person
des spanischen Ministerpräsidenten Rajoy ein neues Orakel von Delphi, das hellseherisch
in die Zukunft sehen kann: Katalonien wird in Spanien bleiben und die „immense
Mehrheit“ der Katalanen wünscht nicht, nicht mehr Spanier zu sein. Toll. Jetzt,
als Seher vom Dienst, sollte er auch seinen europäischen Kollegen verraten, wie
man die Finanzkrise überwinden kann und soll. Die wären ihm bestimmt dankbar.
Nur: seiner diesbezüglichen Vorhersage wäre so wenig zu trauen wie der über
Katalonien.
Über die Wünsche der Mehrheit der Katalanen
kann weder Herr Rajoy noch irgendein Politiker -sei er Spanier oder Katalaner-
verfügen. Der einzige Weg es zu erfahren, ist der einfache und demokratische
Weg eines Referendums, Volksbefragung oder Volksentscheid, egal wie man es
nennen will. Wenn Herr Rajoy von dem Willen der „immensen Mehrheit der
Katalanen“ so überzeugt ist, warum weigern sich die spanischen Politiker, eine
solche Befragung zu erlauben? Einfach weil ihnen mit jedem Tag klarer wird, dass
die Mehrheit der Katalanen etwas ganz anderes will und das Vertrauen in die
spanische Politik vollkommen verloren hat; dass die Katalanen die Arroganz der
spanischen Politiker, die kein Respekt für die anderen Völker des Staates kennt,
satt haben, genauso wie das Unvermögen der spanischen Regierungen, das Geld der
Bürger sinnvoll zu verwenden.
Wenn Herr Rajoy sagt: „Mit Katalonien eint uns
alles, Jahrhunderte Geschichte, etc.etc.“ blendet er aus, daß diese Geschichte
alles andere als ein einender Faktor gewesen ist. Es gab drei Kriege mit
verheerenden Folgen für Katalonien (1640-50; 1711-14; 1936-39), dazwischen verschiedene
Bombardierungen Barcelonas durch die spanische Armee, die schwerste um 1840,
und ständige Repressionen, Sprachverbote, wirtschaftliche Ausbeutung, und, und,
und.
Und trotz alledem hätte Spanien eine Chance
gehabt, sich mit Katalonien zu versöhnen und im spanischen Staatsverband zu
behalten, wenn die Politiker in Madrid das Autonomiestatut, das vom
katalanischen Parlament Ende 2005 mit 90 % der Stimmen verabschiedet wurde, ohne
Abstriche akzeptiert hätten. Das Statut wurde aber , bei voller Missachtung des
Willens der katalanischen Bevölkerung, bis zur Unkennlichkeit verwässert und damit
eine einmalige Chance vertan. Seitdem ist die Unabhängigkeitsbewegung zu ihrer
jetzigen Kraft unaufhaltsam gewachsen und kann nur mit undemokratischen
Methoden gebremst werden.
Die Hellseherei von Herrn Rajoy wird sich
demnächst als das erweisen, was sie ist: als Pfeiffen im Walde, als
Wunschdenken und als ein verzweifeltes Zudrücken der Augen, weil nicht sein
kann was nicht sein darf. Und nichts anderes.
(Mit der Bitte um Weiterleitung an Herrn
Köhler, Herrn Nonnenmacher und Herrn Frankenberger)
Pere Grau, Hamburg
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