Sonntag, 9. Dezember 2012

ZWEITER BRIEF: JEDES VOLK HAT EINE GESCHICHTE, DIE WIR JEDEN TAG GEMEINSAM ERSCHAFFEN.

Wenn man eine Realität falsch interpretiert, nicht kennt oder verwechselt, hat diese oft üble Folgen.

Wenn wir uns nicht gut orientieren können, sind wir weder in der Lage, eine angemessene Position  einzunehmen, noch schlüssig zu reagieren. Wir müssen die Möglichkeit haben, uns gut und vollständig informieren zu können, um uns eine eigene Meinung zu einer Frage bilden zu können.
Das ist die Aufgabe der Presse, oder sollte es zumindest sein.
Aus diesem Grund will ich versuchen jedem, der nicht weiß, was Katalonien ist, und besonders den Deutschen zu erklären, dass wir weder Spanier sind noch je Spanier waren, und dass wir bald nicht mehr einer jener vom spanischen Staat mit Gewalt einverleibten Schätze sein werden, eine jener vom spanischen Staat am meisten gehassten und unterdrückten Kulturen.

Als erstes etwas Geschichte:
1939 haben Deutsche allen benachbarten und anderen Völkern den Krieg erklärt. Die Deutschen machten sich daran, andere Menschen, die um sie herum in Frieden lebten, zu töten. Sie zerstörten Länder und Familien und brachten Leid über alle und alles. Sie waren wohl überzeugt von dem, was sie taten, wie ein jeder von uns, von seiner Handlungsweise überzeugt ist. Der Massenmord und die Folter anderer Menschen, die „anders“ waren, dauerte sieben Jahre bis sie, „Gott sei Dank“, den Krieg verloren.
Die Opfer dieser Tragödie, das heißt, die Völker, die unter Deutschland gelitten hatten, entschieden sich dafür, den Aggressoren zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen, sie aber unter Kontrolle zu halten.
Die, in ihre Heimat oder zu ihren Familien und Nachkommen zurückgekehrten Nazis, entschieden sich für Demokratie, ihren Kindern nicht zu erklären was sie getan hatten und  wieder als Lehrer, Richter, oder Maurer zu arbeiten.
Die besetzten Länder, da sie den Krieg gewonnen hatten, konnten wieder sein, was sie gewesen waren.
Im Land der Invasoren, in den Schulen der Generation meines Mannes, unterrichtete man die Vorkriegs- und die Nachkriegsgeschichte, die Geschichte der anderen, über den Führer aber und all seine Anhänger wurde niemals gesprochen.
Jene Kinder wuchsen mit Scham auf und wenig Liebe für ihr Land.
Jetzt hingegen ist die Haltung an den deutschen Schulen vollkommen anders. Die Schüler sind übersättigt mit der Geschichte des Dritten Reichs. Ich hätte gerne meinen vier Kindern die zeitgenössische Geschichte Kataloniens auf eine ebenso vollständige und genaue Weise vermitteln wollen, wie sie die deutsche Geschichte vermittelt bekamen.
Seit 1945 erfreut sich Deutschland an einer Demokratie, die dieses Land in die heutige Situation geführt hat. Die deutsche Mentalität ist bekannt für ihren analytischen Geist, ihre in keiner Weise oberflächliche, sondern genaue Kritikfähigkeit. Da ich in diesem guten Land lebe, kann und will ich das kommentieren, was ich da vorgefunden habe: Toleranz, Begeisterung und Bemühen, die Prinzipien zu erhalten, die ein respektvolles Miteinanderleben ermöglichen. Eine bemerkenswerte Arbeit von 67 Jahren, die die Intelligenz und die guten Absichten der deutschen Bevölkerung zeigt.

Lasst uns nun zu Katalonien gehen.
Die spanische und die katalanische Kultur haben sehr unterschiedliche Wurzeln. Sie wurden im 3. Jahrhundert vor Christus romanisisert und haben sich unabhängig voneinander entwickelt. Das Katalanische ist kein Dialekt, es ist eine der romanischen Sprachen wie das Spanische, das Französische, Portugiesische oder Italienische. Vom 11. bis zum 18. Jahrhundert konstituierte sich die Iberische Halbinsel vor allem aus den Königreichen Kastilien, Leon, Navarra, Aragonien und Al-Andalus. Zuletzt verleibte sich das Königreich Kastilien die Reiche Leon und Al-Andalus ein.
1365 etablierte sich im Katalanisch-Aragonesichen Königreich die Generalitat de Catalunya als Regierungsinstitution.
1492 eroberten die kastilischen Schiffe Amerika, zerstörten die dort bestehenden Kulturen,  zwangen jenen Menschen das Kastilische auf und bemächtigten sich all deren Reichtümer.

Im 18. Jahrhundert siegte das Königreich Kastilien im Erbfolgekrieg gegen das Katalanisch-Aragonesiche Königreich. Die Bourbonen kamen an die Macht und der heutige spanische Staat wurde begründet.
Am 11. September 1714 eroberte der Vorfahre des heutigen spanischen Königs Juan Carlos I mit den kastilischen Truppen Barcelona.
Die Invasion der Katalanischen Länder: Kataloniens, der Franja (des auf aragonesischem Territorium befindlichen katalanischssprachigen Gebiets), Valencias und der Balearen ist gleichbedeutend mit der Unterwerfung der Katalanen, dem Verlust seiner Regierungsinstitutionen, seines Besitzes, der Annullierung seiner Gesetze und der Einverleibung seiner Länder in Spanien.

1931 ruft Lluís Companys die Katalanische Republik aus und die Generalitat de Catalunya wird wieder eingesetzt.
1936, drei Jahre bevor das deutsche Volk sich dazu entschließt, in andere europäische Länder einzufallen, löst der spanische „Führer“, General Francisco Franco, im Einverständnis mit der Bourbonen-Monarchie und der Macht der Spanischen Kirche, die Katalanische Republik auf, ermordet den Präsidenten der Generalitat Lluís Companys und alle Katalanen, die Widerstand leisten.
Die katalanischen Männer mussten in den Krieg ziehen, ihre Frauen und Kinder zurücklassen und sterben, die katalanischen Frauen, die nicht gewillt waren, ihre Großeltern und Kinder zu verstecken, bewaffneten sich auch und starben, nicht um sich zu bereichern, oder um ein Imperium zu gewinnen, sondern um das demokratische katalanische Recht zu verteidigen. Von dieser Zeit an mussten viele Katalanen ins Exil gehen. Diejenigen, die unter der Herrschaft der Diktatur zurückblieben, mussten Spanisch lernen, schweigen, sich bis auf den Boden ducken, wenn sie nicht erschossen werden wollten.
1975, nach 67 Jahren der Diktatur, starb der „Generalissimus“ Francisco Franco und es trat der Nachkomme der Bourbonen-Monarchie „Seine Majestät“ Don Juan Carlos I. im spanischen Fernsehen auf, um Volksreden zu halten.
Seither herrscht in Spanien Demokratie.
Eine Demokratie aber, in der gegenwärtig, heutzutage, jetzt, Dinge wie diese geschehen:
1. Der König Juan Carlos I. richtet sich an die Katalanen, um ihnen zu sagen, dass an eine Trennung nicht im Traum zu denken sei.
2. Die Spanische Kirche erklärt, dass Spanien vereint bleiben muss.
3. Das Militär droht damit, erneut Truppen nach Katalonien zu entsenden.
(Man braucht sich nicht wundern, dass die erwähnte Triade die Katalanen an das Jahr 1936 erinnert).
4. Der Erziehungsminister erklärt der Presse gegenüber, die Notwendigkeit der Hispanisierung der Kinder an katalanischen Schulen.
5. Die spanische Regierung versucht, die Wahlen in Katalonien zu boykottieren und das katalanische Volk einzuschüchtern.

Die Unterdrückung der katalanischen Kultur und des katalanischen Volkes dauert nun schon 298 Jahren an.

All diese Jahre der Unterdrückung und der Ungerechtigkeiten haben es nicht fertiggebracht, Spanier und Katalanen gleich zu machen. Sind wir doch sehr unterschiedliche Völker.
Von der ökonomischen Ausbeutung meines Landes durch den spanischen Staat, mit dem Ziel es auszutrocknen, ist in anderen Artikeln die Rede.
Ich wollte nur deutlich machen, dass die Forderung nach einer Unabhängigkeit Kataloniens keine wirtschaftlichen Gründe, sondern tiefe sozio-kulturelle Wurzeln hat.
Es ist der Wunsch, als das respektiert zu werden, was wir sind, eine Nation, eine Kultur, ein Volk, eine Gruppe von Personen mit einer gesellschaftlichen Identität. Wie Ihr.

Von der Wesensart der Katalanen muss ich Ihnen sagen, dass wir Pazifisten sind, tapfer und halsstarrig. Wir wollen nicht in den Krieg ziehen, wir wollen keinesfalls, dass unsere Männer, Frauen, Söhne oder Töchter ihr Volk mit dem Gewehr verteidigen müssen. Seit Jahrhunderten glaubt das katalanische Volk an die Demokratie und ich glaube nicht, dass wir jemals aufhören werden, friedlich für Toleranz und Respekt zu kämpfen.

Ein weiterer uns sehr eigener Wesenszug ist die Aufrichtigkeit, offen und ehrlich zu sprechen, wie ich es jetzt tue, um Ihnen zu sagen, dass es weder Zeit ist für Abrechnungen, noch Zeit ist, über Geld zu sprechen, nein, es dreht sich darum, den Ruf meines Volkes zu hören, den Ruf, der uns daran erinnert, dass es unser aller Pflicht ist, die Demokratie in Europa und überall zu erhalten.
Ob das deutsche Volk den Ruf hört oder nicht, ist seine Entscheidung. Wir haben laut genug und voller Freude gerufen. Mit der Freude, die wir alle in uns tragen, da wir wissen, dass wir auf einem rechten Weg sind, mit einem aufmerksamen oder tauben Europa, mit einem Deutschland, das uns unterstützt oder nicht.

Wenn die Europäische Union über die Menschenrechte und die Demokratie wacht, wird Katalonien bald ein neuer europäischer Staat sein.

Wir werden uns von Spanien trennen, denn wir hatten nie Gefallen daran, unterdrückt, gequält, ermordet, eingekerkert, nicht respektiert zu sein und von einem Staat ausgebeutet, den wir nie wollten, der nicht der unsere ist und der nichts weiter verdient, als unsere ehrliche Verachtung.

Gewiss haben wir auch eine eigene Nationalhymne: Els segadors, die Schnitter. Den Text können wir alle singen.

Ich hoffe, den deutschen Leser über die vielleicht von Ihnen wenig bekannte Katalanische Geschichte, informiert und Ihr Interesse geweckt zu haben.  
In Erwartung Ihrer Meinung, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen


Anna Mallorquí Quintana
Doctor






















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